Naturwissenschaftlicher Unterricht

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  Kompetenzorientiert unterrichten

Nicht erst seit TIMSS und PISA wird über das Thema Bildungsstandards diskutiert, obschon diese beiden internationalen Studien im Bildungsbereich für viele Diskussionen und Aktivitäten sorgten. Der Grund dafür war das unerwartet schlechte Abschneiden von deutschen Schülern im Vergleich zu vielen anderen Ländern. Die Folge war eine Diskussion über Lehrpläne, die Dauer der Schulzeit, Schulformen usw..
Seit 2004 bestehen u.a. auch die Bildungsstandards für Biologie, Chemie und Physik. Bei diesen aktuell veröffentlichten Standards handelt es sich um Minimalvorgaben von Leistungsstandards für den mittleren Schulabschluss - darüber sollen alle Schüler dieses Schulabschlusses mindestens verfügen!

Damit einher gehen dabei der Wandel von den inputorientierten hin zu outputorientierten Lehrplänen: Vormals gaben die Lehrpläne der einzelnen Bundesländer vor, was die die Lehrer an Inhalten lehren sollen. Dieser Input wurde für die verschiedenen Jahrgangsstufen ausführlich niedergeschrieben und es wurde erwartet, dass jeder Lehrer diesen Themenkanon im Rahmen seines Unterrichts an die Schüler vermittelt. Mittlerweile hat sich der Blickwinkel der bildungsministerialen Vorgaben  auf die Ergebnisse und Wirkungen von Schule verschoben: Nun werden die Kompetenzen, welche ein Schüler am Ende seiner Schullaufbahn zu beherrschen hat, vorgegeben. Wie dieser Output nun erzielt wird, dass liegt in der Hand des unterrichtenden Lehrers!
Operationalisiert wird dieser Output durch die sogenannten Kompetenzen! Dabei handelt es sich laut WEINERT (2001) um "die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösung in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können". Etwas pragmatischer formuliert kann man sagen, dass mit den Kompetenzen die Kenntnisse, Fertigkeiten und Einstellungen eines Schülers gemeint sind, welche er sich im Rahmen seiner schulischen Ausbildung erwirbt und mit denen er seine aktuellen sowie zukünftigen Lebenskontexte bewältigen kann.

Der naturwissenschaftliche Unterricht in der Sekundarstufe I ermöglicht den Erwerb von Kompetenzen, die insgesamt naturwissenschaftliche Grundbildung im Sinne von "scientific literacy" ausmachen. In den Bildungsstandards werden entsprechende Kompetenzdimensionen unterschieden:
 - konzeptbezogene Kompetenzen, welche die Inhaltsdimensionen beschreiben (Kompetenzbereich Fachwissen), und
 - prozessbezogene Kompetenzen
, welche die Handlungsdimensionen beschreiben (Kompetenzbereiche Erkenntnisgewinnung, Kommunikation, Bewertung).


Kompetenzbereiche :
Fachwissen Phänomene, Begriffe, Prinzipien, Fakten kennen und den Basiskonzepten zuordnen.
Erkenntnisgewinnung Untersuchungsweisen und Denkweisen beherrschen.
Kommunikation Fachbezogen kommunizieren.
Bewertung Naturwissenschaftliche Sachverhalte in verschiedenen Kontexten erkennen und bewerten.


Aus den Schulvergleichsstudien ist bekannt, dass beide Kompetenzdimensionen in der Schule und insbesondere auch im späteren Berufsleben eine herausragende Rolle spielen. In der Vergangenheit lag das Schwergewicht naturwissenschaftlichen Unterrichts auf dem Kompetenzbereich Fachwissen. Fachliche Kenntnisse wurden an deutschen Schulen exemplarisch immer schon vermittelt - doch es blieb sehr oft als träges und fossiles Wissen in den Schülerköpfen hängen, mit dem kaum angewandte Aufgaben und Probleme gelöst werden konnten. Dazu bedarf es der prozessbezogenen Kompetenzen: Sie dienen dazu, Fachwissen adäquat und vor allem zielgerichtet zur Lösung von Anwendungsaufgaben zu nutzen. 

Die vier Kompetenzbereiche sind in den Bildungsstandards ausführlich beschreiben und mit klaren Vorgaben unterlegt. Nachfolgend ist daher lediglich eine kurze Übersicht dazu gegeben:

Fachwissen
In den Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik nimmt das Fachwissen explosionsartig zu. Dies erfordert eine Reduktion der Inhalte auf den Kern von naturwissenschaftlichen Wissen und ein exemplarisches Vorgehen. Dieses Wissen wird auf der Grundlage von drei (vier für die Physik) in sich vernetzten Basiskonzepten erarbeitet, die systematisches und multiperspektivisches Denken sowie die Beschränkung auf Wesentliches fördern:
 - Biologie: Basiskonzepte System, Struktur und Funktion;
 - Chemie: Basiskonzepte Chemische Reaktion, Struktur der Materie und Energie;
 - Physik: Basiskonzepte System, Struktur der Materie, Energie und Wechselwirkung.

Mittels der Basiskonzepte sollen die SchülerInnen fachwissenschaftliche Inhalte beschreiben und strukturieren können. Mit ihnen bewältigen die Lernenden sowohl die Komplexität der naturwissenschaftlichen Sachverhalte, die von den Fachwissenschaften dynamisch weiterentwickelt werden, als auch die Vernetzung des exemplarisch und kumulativ gewonnenen Wissens.

Erkenntnisgewinnung
Die verschiedenen Naturwissenschaften zeichnen sich durch etablierte Verfahren aus, mit deren Hilfe sie zu gesicherten Erkenntnissen kommen. Dazu gehören
 - die bewusste Wahrnehmung der Umwelt,
 - das Erforschen der Umwelt durch Beobachtung, Messung, Beschreibung,  
     Experimente,
 - das Erklären, Voraussagen und Schlussfolgern
sowie
 - das Zusammenführen aller Erkenntnisse zu allgemein gültigen Aussagen.

Für diese einzelnen Untersuchungsmethoden gelten klare Vorgaben, damit die erzielten Ergebnisse jederzeit reproduzierbar sind.

Kommunikation
Die Sprache ist für den Menschen das wichtigste Mittel zur Erschließung der Welt. Im naturwissenschaftlichen Unterricht geht es darum, Fachsprache zu etablieren und fachsprachliche Kommunikationskompetenz zu entwickeln. Sie ist notwendig, um die vielfältigen Informationsträger wie Texte oder Bilder zu verarbeiten, aufeinander zu beziehen und sich dazu strukturiert sowie schlüssig äußern zu können.

Bewertung
Lernende müssen die naturwissenschaftlichen Sachverhalte und die damit verbundenen, möglichen Problematiken erfassen, um eine Bewertung nach einem Werteraster vornehmen zu können. Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, um sich in verschiedenen Personen einzufühlen und Verständnis dafür zu entwickeln, dass jemand anders denkt und sich daher anders entscheidet. Auf dieser Grundlage vertreten die Lernenden unter Berücksichtigung individueller und gesellschaftlich verhandelbarer Werte einen eigenen Standpunkt!

Kompetenzorientierter Unterricht - aber wie
Der kompetenzorientierte Unterricht in den Naturwissenschaften basiert auf den vier Säulen Kompetenzorientierung, Kontextorientierung, Basiskonzeptorientierung und Lernprozessorientierung. Ein solcher NW-Unterricht ist auf den handelnden Umgang mit Wissen hin ausgerichtet und entwickelt Kompetenzen (Kompetenzorientierung). Zugleich sind aber auch die Inhalte und Themen in sinnstiftende Kontexte eingebettet, so dass Fragen- und Problemstellungen aus der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler aufgeworfen werden können (Kontextorientierung). In Folge der Basiskonzepte als Leitideen und Denkmuster werden naturwissenschaftliche Sachverhalte grundsätzlich betrachtet und verstanden (Basiskonzeptorientierung). Sie dienen der Vernetzung des erworbenen Wissens. Letztendlich ist der kompetenzorientierte Unterricht auf die Lernprozesse und nicht auf die Lehrprozesse hin konzipiert und gestaltet (Lernprozessorientierung).

Die zwingende Voraussetzung für einen solchen kompetenzorientierten Unterricht stellt die Festlegung von zu erzielenden Befähigungen seitens der Schülerinnen und Schüler, den entsprechenden Kompetenzen, dar: Was sollen die Lernenden zu einem bestimmten Zeitpunkt können können!
Da es aktuell kein empirisch entwickeltes und allgemeingültiges Kompetenzmodell gibt, orientieren sich die Ausprägungsformen der Kompetenzbereiche an den Anforderungsbereichen der Einheitlichen Prüfungsanforderungen in der Abiturprüfung (EPA). Eine entsprechende Übersicht über die Kompetenzbereiche in Bezug zu den Anforderungsbereichen findet sich in der nachfolgenden Kompetenzmatrix:


Für den Unterricht gilt es, die Operatoren der Kompetenzmatrix in fach- und themenspezifische Kompetenzrastern festzuschreiben. Diese bieten eine Übersicht über die zu erwerbenden Kompetenzen aus Schülersicht, wobei diese Vorgaben für Unterrichtsabschnitte, ein halbes oder ganzes Schuljahr auf unterschiedlichen Leistungsstufen enthält. Mit Kompetenzrastern werden Inhalte und Qualitätsmerkmale verschiedener Lern- oder Arbeitsbereiche in Form von "Der Schüler bzw. Ich kann ..."-Statements definiert (z.B. "Der Schüler / Ich kann die Bedeutung von biologischen Begriffen als Kommunikationsgrundlage erläutern ..."). Die Beschreibungen ermöglichen es Lernenden, sich zu orientieren und ihre Arbeiten mit den formulierten Kompetenzen in Beziehung zu bringen. Damit dienen Kompetenzraster der Selbstkontrolle der Lernenden und tragen zur Selbststeuerung des Lernens bei. 
        
Jede im Unterricht anstehende Aufgabe, jedes Medium gilt es daraufhin zu überprüfen, welcher Anforderungsbereich welcher Kompetenzbereiche abgedeckt wird. Selbstverständlich kann nicht jeder naturwissenschaftliche Inhalt alle Kompetenzbereiche abbilden; vielmehr gilt die Devise, im Rahmen eines kontinuierlichen Unterrichtsverlaufs eine ausgewogene und schülerorientierte Streuung in den Anforderungs- und Kompetenzbereichen zu erzielen.
Andererseits gilt es aber auch auf der Basis der EPA entsprechende Kompetenzraster für den naturwissenschaftlichen Unterricht zu entwickeln, die über die Kerncurricula des Schulministeriums hinaus gehen. Darin müssen die Kompetenzen der unterschiedlichen Lernniveaus - geordnet nach den Kompetenzbereichen - für die verschiedenen Jahrgangsstufen festgelegt werden. Dies dürfte die originäre Aufgabe der Fachkonferenzen sein.
 
Die Orientierung der Unterrichtsaufgaben an die EPA sowie Kompetenzraster sind erforderlich, damit Lernende eine naturwissenschaftliche Grundbildung erwerben, die ihnen auch nach der Schulzeit nutzbar bleibt.


    Literaturquellen:

BESCHLÜSSE DER KULTUSMINISTERKONFERENZ (2004): Bildungsstandards im Fach Biologie für den Mittleren Schulabschluss. München
BESCHLÜSSE DER KULTUSMINISTERKONFERENZ (2004): Bildungsstandards im Fach Chemie für den Mittleren Schulabschluss. München
BESCHLÜSSE DER KULTUSMINISTERKONFERENZ (2004): Bildungsstandards im Fach Physik für den Mittleren Schulabschluss. München
CRIBLEZ, L. / OELKERS, J. / REUSSER, K. / BERNER, E. / HALBHEER, U. / HUBER, C.(2009): Bildungsstandards. Seelze-Velber.
WEINERT, F.E. (2001): Vergleichende Leistungsmessung in Schulen - eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In:WEINERT, F.E. (Hrsg.), Leistungsmessungen in Schulen. Baltmannsweiler.
ZIENER, G. (2008): Bildungsstandards in der Praxis. Seelze-Velber.

 
    Begriffserklärungen:

naturwissenschaftliche Grundbildung / scientific literacy: Fähigkeit, naturwissenschaftliches Wissen anzuwenden, naturwissenschaftliche Fragen zu erkennen und aus Belegen Schlussfolgerungen zu ziehen, um Entscheidungen zu verstehen und zu treffen.

Basiskonzepte: grundlegende, für den Unterricht eingegrenzte und für SchülerInnen nachvollziehbare Ausschnitte fachlicher Konzepte und Leitideen.
 

 

© Michael Hänsel